R wie RÄTOROMANISCH
Nachdem die Germanisierung im Oberen Vintschgau nie ganz Fuß hatte fassen können, zählte die Bevölkerung noch um 1600 zu gut einem Drittel zur rätischen Urbevölkerung, die, nach dem Zusammenbruch des Römerreiches, eine eigene Sprache, das Rätoromanische, entwickelt hatte.
Die endgültige sprachliche Eindeutschung des Oberen Vintschgaus beginnt im Zuge der Reformation und der Gegenreformation. Denn die ersten Reformprediger sind Rätoromanen, die über die reformierte Eidgenossenschaft gegen Osten, gegen Tirol, vorrücken und die über die rätoromanische Sprache die Reformation langsam einsickern lassen. Wie will die katholische Kirche also verhindern, dass das Unkraut der Ketzerei Wurzeln schlägt? Indem man eine sprachliche Barriere aufbaut. Indem man verhindert, dass die Reformprediger vom einfachen Volk überhaupt verstanden werden. In dieser Absicht decken sich langfristig religiöse (Abtei Marienberg) und politische (habsburgische) Interessen, und es bildet sich langsam und stetig eine sprachliche, religiöse und politische Grenze heraus. Obwohl das Münstertal, das Val Müstair, geographisch nur eines der zahlreichen Seitentäler des Vintschgaus ist, bildet sich die politische Grenze zwischen Tirol und dem Oberen oder Grauen Bund fast gleich am Talanfang heraus. Und diese politische Grenze besteht mittlerweile seit Jahrhunderten, weil sie auch eine sprachliche und religiöse Grenze geworden und geblieben ist. Die Flurnamen sind im Oberen Vintschgau aber zum großen Teil rätoromanisch geblieben und zu einem kleinen Teil auch noch die Schreib- und Eigennamen der ansässigen Bevölkerung.
Kleiner Hinweis: In der Pfarrkirche von Reschen hängt eine 1661 in Bozen gegossene Glocke, auf der, neben dem lateinischen „ora pro nobis”, noch das rätoromanische „prece pro noc” zu lesen ist.